Göran Schattauer | „Ans Messer geliefert“
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Die bayerische Justiz steht wegen der vorzeitigen Haftentlassung von Uli Hoeneß in der Kritik. Doch die Gerichtsakten zeigen, dass der reuige Steuersünder zu Recht freikommt

 

Als das Landgericht Augsburg Anfang dieser Woche die vorzeitige Entlassung von Deutschlands prominentestem Häftling verkündete, ging ein Aufschrei durch die Republik. Viele Kommentatoren insbesondere aus der linksliberalen Ecke echauffierten sich über die angebliche Vorzugsbehandlung von Uli Hoeneß, 64, dem ehemaligen FC-Bayern-Präsidenten, der im März 2014 wegen Steuerhinterziehung zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Mit einer besonderen Form der Justizschelte tat sich die „Süddeutsche Zeitung“ hervor. Hoeneß’ Freilassung schon nach der Hälfte seiner Haftzeit sei „ein fatales Signal“, stänkerte das Blatt. Das Gericht habe dem berühmten Unternehmer und Fußballmanager „eine Extrawurst gebraten“ und damit den Glauben der Menschen erschüttert, „dass vor dem Gesetz alle gleich sind“. Es entstehe der Eindruck, der Mann habe einen Promi-Bonus erhalten.

 

Mit seiner speziellen Art hat sich Uli Hoeneß viele Freunde, aber auch Feinde gemacht. Nachdem FOCUS im April 2013 erstmals von Steuerermittlungen gegen ihn berichtet hatte, überzogen ihn seine Kritiker mit Spott und Häme. Jetzt fallen sie erneut über ihn her und meinen, er müsse für seine Taten ewig büßen. Das Landgericht Augsburg sieht das anders. Es glaubt, die Aussetzung der Strafe zur Bewährung könne „zweifelsfrei verantwortet werden“. So steht es in dem achtseitigen Beschluss des Gerichts, der FOCUS vorliegt.

 

In dem Papier stellen die Juristen ausführlich dar, warum Hoeneß ab 29. Februar in den Genuss der Halbstrafenregelung kommen soll, die in Bayern gar nicht so selten angewandt wird wie oft behauptet: Zwischen 2010 und 2015 kamen knapp 1100 Gefangene auf diese Weise frei. Im Fall Hoeneß würdigte die Strafvollstreckungskammer zunächst, dass der Verurteilte „trotz seiner hervorgehobenen Position“ ein vorbildlicher Häftling gewesen sei. Ihm aufgetragene Tätigkeiten, etwa die Arbeit in der Kleiderkammer, habe er „gewissenhaft und sorgfältig“ erledigt. Die Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech hatte dem Gericht bestätigt, dass der Promi-Insasse gegenüber Bediensteten und Mitgefangenen stets respektvoll, höflich und hilfsbereit auftrat. Nie habe er irgendwelche Allüren an den Tag gelegt oder angedeutet, dass er sich „für etwas Besseres“ hält.

 

Nicht alle Gefangenen wussten das zu schätzen: Hoeneß wurde verleumdet, erpresst und ausspioniert. Hinzu kamen Belastungen durch die „totale mediale Beobachtung“. Er habe sich nie sicher fühlen können vor „massiven Nachstellungen oder öffentlichen Bloßstellungen“. Ausdrücklich erklärte die Kammer, dass Hoeneß kein Kavaliersdelikt begangen habe, sondern „eine Mehrzahl von Steuerstraftaten“ mit einem Gesamtschaden von 28,5 Millionen Euro. Positiv zu werten sei jedoch, dass er die Rückforderungen der Finanzbehörden „eigeninitiativ“ und „vollumfänglich“ beglichen habe. Mit Zins und Zinseszins zahlte er mindestens 43 Millionen Euro zurück. Das Geld, so die Kammer, stammte nicht etwa aus früheren Betrügereien, sondern „aus dem eigenen erworbenen Vermögen“. Das sei „keine Selbstverständlichkeit“ und werde als Umstand „von erheblichem Gewicht“ gewürdigt.

 

Als noch bedeutsamer stufte das Gericht einen weiteren Aspekt ein: Hoeneß’ Selbstanzeige vom 17. Januar 2013. Damit, so heißt es in den Akten, habe er die Ermittlungen erst ins Rollen gebracht. Zwar schützte ihn dieser Schritt nicht vor der Strafverfolgung, denn die Selbstanzeige war unwirksam. Nun hält man sie ihm wenigstens bei der Bemessung der Haftzeit zugute – ein später Erfolg mit bitterem Beigeschmack. Als weiteren Pluspunkt vermerkte die Kammer Hoeneß’ „vorbehaltlose Kooperationsbereitschaft“. Mit seinen von „Schuldeinsicht und Reue getragenen“ Einlassungen habe er sich der Justiz förmlich „ans Messer geliefert“. Ohne die von ihm vorgelegten Unterlagen wäre eine Verurteilung nicht oder nur sehr schwer möglich gewesen, heißt es im Beschluss. Denn nach der Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens durch die Schweiz seien „sämtliche Ansatzpunkte für weitere Ermittlungen“ erschöpft gewesen. Hoeneß habe zudem „entgegen dem Rat seiner Verteidiger“ auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet – „und dadurch erneut seine Schuldeinsicht dokumentiert“.

 

Dass der Fall „vom Durchschnitt vergleichbarer Fälle in positiver Hinsicht abweicht“, liegt nach Ansicht der Kammer auch an der Lebensleistung des in Ulm geborenen Unternehmers. Seine Biografie sei, mit Ausnahme der Steuersünde, „tadelfrei“ und „von sozialem Engagement geprägt“. Seit Ende 2014 ist Uli Hoeneß Freigänger, er lebt und arbeitet im offenen Vollzug. Nach seiner Entlassung wird er sowohl beim FC Bayern München als auch in seiner Nürnberger Wurstfabrik wieder voll einsteigen. Welche Aufgaben Hoeneß beim Rekordmeister übernehmen wird – aktuell ist er Berater im Nachwuchsbereich -, steht noch nicht fest. Laut Insidern wird sich Hoeneß wohl im Juli entscheiden, ob er zur Präsidentenwahl im November antritt, wenn die Amtszeit von Karl Hopfner endet. „Es deutet vieles darauf hin“, sagt ein enger Freund. Vorgeschlagen wird der Präsidenten-Kandidat vom Verwaltungsbeirat des FC Bayern. Das Gremium unter Vorsitz des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber sähe Hoeneß liebend gern wieder auf seinem alten Posten. Dasselbe gilt für die große Mehrheit der Clubmitglieder, die im Herbst über die Personalie abstimmen.

 

Zum Problem könnte werden, dass der Vereinspräsident immer auch an der Spitze des Aufsichtsrats der FC Bayern München AG steht, des eigentlichen Machtzentrums. Der Verein hält 75 Prozent der Aktien, die restlichen 25 Prozent besitzen Adidas, Allianz und Audi. Diese Firmen haben sich strengen Compliance-Regeln unterworfen und könnten aus Rücksicht auf ihre Aktionäre gegen einen vorbestraften Mann an der Spitze der AG Einwände erheben. Gut möglich, dass Hoeneß im Sommer versuchen wird, etwaige Vorbehalte bei Sponsoren und Firmen auszuräumen. Dass ihm dies gelingen wird, davon ist sein Vertrauter überzeugt: „Uli wird zurückkehren an die Spitze.“

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