Exklusiv: Die wachsende Bedrohung durch islamistische Attentäter befeuert die Sicherheitsindustrie. Auf einer Insider-Messe in Nürnberg stellten Spezialfirmen ihre neuesten Waffen im Kampf gegen Extremisten vor. FOCUS war dabei
Stopp! An den bulligen Wachmännern vor Halle 10.1 kommt keiner vorbei. Zumindest keiner ohne Berechtigungscode. Jeder Besucher wird gescant. Für diese Ausstellung gelten äußerst „strenge Zutrittskriterien“. Das haben die Chefs der Nürnberger Messe so verfügt. Die rund 2000 geladenen Gäste aus 53 Staaten sollen sich absolut „ungestört“ und in „vertraulicher Atmosphäre“ bewegen können. Die Vorsicht der Veranstalter kommt nicht von ungefähr. Auf der Spezialmesse Enforce Tac, die FOCUS vergangene Woche exklusiv besuchen durfte, stellen Sicherheitsfirmen aus aller Welt ihre neuesten Waffen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus vor: Sturmgewehre, Pistolen, High-Tech-Drohnen, Zielfernrohre, Sondermunition, Schutzausrüstungen, Überwachungssysteme.
In Zeiten akuter Bedrohungen durch islamistische Extremisten wächst der Terror-Abwehr-Markt rasant. Jedes Jahr locken Milliardenaufträge von Regierungen und Behörden. Wer da mitmischen will, muss auf Messen wie dieser präsent sein. Mehr als 120 Unternehmen, so viele wie noch nie, haben ihre Verkäufer nach Franken entsandt – vom global agierenden Rüstungskonzern bis zum 3-Mann-Betrieb aus der süddeutschen Provinz. Anders als bei herkömmlichen Waffenmessen, wo sich auch kriminelle Rocker und Rotlichtgrößen nach Neuheiten umsehen, richtet sich die Enforce Tac ausschließlich an Sicherheitsexperten staatlicher Behörden.
Viele Besucher haben kantige Gesichter und sehr breite Schultern. Sie tragen Sneakers, Kapuzenjacken und raspelkurze Haare. Sie wirken wie gestählte Leistungssportler. Nur ernster. Entschlossener. Sie reden nicht viel. Auf ihren Basecaps klemmen verspiegelte Sonnenbrillen. Die jungen Männer sehen so aus, als könnten sie jemandem in Sekundenschnelle alle Knochen brechen und einer Zielperson aus 300 Meter Entfernung zwischen die Augen schießen. Genau das ist ihr Job: Es sind Kämpfer aus Anti-Terror-Einheiten und Spezialeinsatzkommandos. Sie werden bei Amokläufen und Geiselnahmen gerufen. Oder bei Anschlägen wie zuletzt in Paris, wo islamistische Killer 17 Menschen töteten Sollte etwas Ähnliches in Berlin, Hamburg oder München passieren, müssen die deutschen Elitepolizisten zur Stelle sein. Exzellent trainiert und erstklassig ausgerüstet. Zur Grundausstattung eines jeden Terroristenjägers gehören ausgezeichnete Waffen. Davon gibt es hier reichlich.
Pavillon 219, Firma FN Herstal aus Belgien, dichtes Gedränge. Ein Mittzwanziger im Holzfällerhemd, offenbar Profischütze, nimmt das aktuellste Modell zur Hand. Ein anthrazitfarbenes Präzisionsgewehr, halb automatisch, Reichweite 800 Meter. Nachdem er die ergonomischen Vorzüge getestet hat, zielt er hochkonzentriert auf einen Stahlträger am anderen Hallenende. Dann senkt er das Schussgerät und reicht es stumm nickend einem Kollegen. Seine Augen glänzen. Ganz in der Nähe hat die Firma Heckler & Koch aus Oberndorf am Neckar ihren Stand aufgeschlagen. Alle Vertreter tragen graue Anzüge und rote Krawatten. Auf den Kragen ihrer Hemden ist das Firmenlogo HK eingestickt. Es gibt Werbetüten und Schokolade. Auf dem riesigen Flachbildschirm an der Wand läuft ein Imagefilm im Stil des Musiksenders MTV: schnelle Schnitte, harte Kerle, Kanonen, Laserblitze, Nebel, dazu wummernde Bässe. In einer offenen Vitrine liegt das heißeste Eisen aus Deutschlands größter Waffenschmiede, eine Pistole vom Typ SFP9. Die Neuentwicklung besteche durch „höchste Präzision bei schnellen Schussfolgen“, schwärmt der Experte für Verkauf und Marketing, ein kräftiger Herr mittleren Alters, der namentlich nicht genannt werden will. Sein Unternehmen hat, wie die gesamte Branche, schon bessere Zeiten erlebt. Strenge Exportbeschränkungen machen Waffenverkäufe in viele Regionen der Welt unmöglich. Zuletzt geriet Heckler & Koch wegen angeblicher Probleme beim Sturmgewehr G36 in die Kritik. An Negativ-Schlagzeilen mangelte es auch in der Vergangenheit nicht. Seit den Schulmassakern von Erfurt und Winnenden ist das Image der Waffenindustrie im Keller, ähnlich wie die Umsätze der meisten Hersteller. Ihre Hoffnungen ruhen nun auf dem stetig wachsenden Anti-Terror-Markt. Bei Heckler & Koch spricht man von „großen Chancen“.
Am Stand schräg gegenüber steht ein hagerer Mann im khakifarbenen Hemd. Harald Weiss ist Projektmanager bei Schmidt & Bender. Die 1957 gegründete Firma aus Hessen entwickelt und baut hochwertige Zielfernrohre. Der mittelständische Betrieb liefert in 55 Länder, darunter an Top-Adressen in den USA. Manager Weiss zeigt dem FOCUS-Reporter ein schwarzes, knapp 40 Zentimeter langes Zielfernrohr aus der Serie „High Power“. Bis zu 27-fache Vergrößerungen sind damit möglich – ideal „für den präzisen Schuss auf lange Distanzen“, wie Weiss betont. Das Gesicht eines Verbrechers könne man damit „aus einigen hundert Metern erkennen“. Das Superglas kostet um die 5000 Euro und wird vom „US Special Operations Command“ genutzt. Zu dem Verband gehören sämtliche Spezialeinheiten des US-Militärs, darunter die Navy Seals. Kämpfer der legendären Truppe töteten 2011 in Pakistan Osama bin Laden, den Führer des Terrornetzwerks al-Qaida.
Wer Straftäter in verwinkelten, finsteren Häusern ausschalten will, muss praxisnah trainieren. Moderne Schießkomplexe findet man an Stand 537. Dort bietet eine britische Firma aufblasbare Übungswände an: stabile Segmente aus Vinyl, bis zu drei Meter breit und 2,30 Meter hoch, wahlweise mit Türen und Fenstern. Je nach Einsatzlage lassen sich die Blöcke zu Wohnungen, Bürogebäuden, Schulen oder ganzen Dörfern zusammenbauen. „Es entstehen realistische Umgebungen für Gefechte im In- und Ausland“, meint ein Manager. Ob sandfarbene Mauern wie in Afghanistan, Ziegelfassaden, Ruinen oder Holzbaracken – die Sonderkommandos können sich auf viele Szenarien vorbereiten. Das größte Paket des Herstellers – es besteht aus 96 Teilen und kostet 150 000 Euro – heißt wie ein Kriegsfilm-Klassiker: „Platoon“.
Auf die Simulation potenziell tödlicher Schusswechsel hat sich die italienische Firma Lacs spezialisiert. Dabei bedient sie sich völlig harmloser Mittel. Das Prinzip: Polizisten montieren auf ihre Waffen Präzisionslaser. Sobald sie abdrücken, werden Impulse ausgesendet. Treffen die Infrarot-Strahlen auf feindliche Objekte – den Körper des Verfolgten oder eine Zielscheibe – stellen bis zu 62 Sensoren fest, wie schnell und genau die Schützen zielen. „Auf diese Weise“, erklärt ein Promoter, „lassen sich Nahkampfszenarien und Feuergefechte auf längere Entfernung absolut realitätsnah trainieren.“
Wie man im Kugelhagel überlebt, können Besucher im Außenbereich der Messe erahnen. Dort steht ein weißer Toyota Land Cruiser. Er sieht aus wie ein normaler Geländewagen. Sein Geheimnis liegt im Unsichtbaren: Das Auto hält Schüssen aus Scharfschützengewehren stand und übersteht Handgranaten-Angriffe. Selbst eine Bodenmine mit sechs Kilogramm TNT-Sprengstoff kann den Insassen wenig anhaben. „Die Basisvariante wiegt knapp 2,5 Tonnen“, erklärt Heinz Gerlach vom Hersteller Aurum Security aus Frankfurt am Main. „Unser gepanzertes Modell ist fast doppelt so schwer – und so robust wie früher nur militärische Fahrzeuge.“ Tatsächlich haben die Hessen das Auto in eine rollende Festung verwandelt. Sie verbauten mehr als 1400 Kilogramm Panzerstahl und 550 Kilogramm Panzerglas. Die getönten Scheiben sind gut sieben Zentimeter dick. Gerlach hofft, viele Messegäste für seine Spezialautos begeistern zu können. Doch bei Stückpreisen von bis zu 300 000 Euro hält sich die Kauflaune deutscher Sicherheitsbehörden in Grenzen.
Eine gewisse Zurückhaltung hiesiger Stellen hat auch Alexander Wüst ausgemacht. Wüst ist Chef einer norddeutschen Firma, die seit fast 30 Jahren hochwirksame Störsender produziert. Auf seinem Messetisch liegen Buttons mit einem abgewandelten Obama-Zitat: „Yes, we jam“, zu Deutsch „Ja, wir stören“. Was ziemlich krawallig klingt, rettet Leben. Die Störsender werden unter anderem in Autos hochrangiger Politiker platziert, die im Konvoi durch Krisengebiete fahren. „Unsere Technik verhindert, dass am Straßenrand versteckte Bomben per Funk gezündet werden können“, sagt Wüst. Auch Bodentruppen und Entschärfer, die jederzeit mit heimtückischen Attacken rechnen müssen, profitieren von den Blockern. Wüst verkauft in rund 50 Staaten, hauptsächlich Richtung Mittlerer Osten. In Deutschland finden sich nur wenige Abnehmer. „Hier heißt es immer: kein Geld, kein Geld, kein Geld.“
Mark Milewski, Geschäftsführer einer Firma für Sicherheitstechnik, bestätigt das. „Die Geldnot geht mittlerweile so weit, dass vielen Beamten nicht mal mehr das Reisegeld genehmigt wird, um solche Fachmessen zu besuchen.“ Zwar zeigten sich die Behörden stets interessiert an Neuheiten, doch viele Geschäfte scheiterten am Finanziellen. „Wahrscheinlich“, unkt der Experte, „muss in Deutschland erst ein Anschlag passieren, damit die Verantwortlichen aufwachen.“ Zwei Herren nähern sich dem Stand und inspizieren eines von Milewskis Top-Produkten: den Anti-Terror-Schutzanzug SSA-2. Mit dem Ganzkörperpanzer könnte man wohl auch durch die Hölle gehen, ohne größeren Schaden zu nehmen. Er widersteht Flammen und Chemikalien, bremst Handgranaten-Splitter und Gewehrkugeln ab. Auch gegen harte Schläge und Messerstiche ist der Träger gefeit.
Trotz des Rundumschutzes seien Polizisten in dem Anzug „hochbeweglich“, erklärt Milewski den Besuchern. Sie könnten „laufen, rennen, klettern, kriechen und natürlich auch schießen“. Was ein Anzug koste, will jemand wissen. „Ungefähr so viel wie ein Kleinwagen“, antwortet der Boss. Nicht ganz so viel verlangt Alexander Siedler von der Firma Albfood aus Baden-Württemberg. Seine Produkte kosten zwischen 6,50 und 7,50 Euro. Es handelt sich um selbsterhitzende Fertiggerichte aus der Assiette. Alles, was man zum Aufwärmen braucht, liegt den 400-Gramm-Menüs bei. Unter den vielen Waffenanbietern wirkt der Verkäufer von Curry-Geschnetzeltem, Gulasch und Ravioli wie ein Exot. Doch der Zulauf am Stand ist riesig. „Polizisten sind manchmal zwölf oder mehr Stunden im Einsatz“, weiß Siedler, „und irgendwann kriegen sie Hunger.“ Die Messe wertet der Schwabe als großen Erfolg. „Erste Bestellungen sind schon eingegangen.“