Göran Schattauer | Hakenkreuz und Ledergürtel
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Sachsens Justiz verschweigt einen Folter-Fall im Jugendgefängnis. Häftlinge sollen einen Zellenkumpan gequält und fast ermordet haben

 

Das Jugendgefängnis im sächsischen Regis-Breitingen zählt zu den feinsten Adressen seiner Art. Den 376 Häftlingen steht eine moderne Sporthalle zur Verfügung, obendrein ein Videosaal nebst Bibliothek. Die Einzelzellen sind wunderbar hell und unterscheiden sich, bis auf die eingeschränkte Aussicht, kaum von Internatszimmern. Eingeweiht wurde der Jugendknast im Oktober 2007, knapp ein Jahr nach dem Foltermord von Siegburg (Nordrhein-Westfalen). Dort hatten drei Häftlinge im November 2006 einen Mitgefangenen zu Tode gequält. In ihrer beispiellosen Brutalität erschütterte die Gewalttat die Republik; Justizpolitiker aller Parteien schworen, ein zweites Siegburg werde es „nie wieder“ geben.

 

Es ist wieder passiert. Nach FOCUS-Informationen kam es in der Jugendhaftanstalt Regis-Breitingen zu einem Fall von Folter und versuchtem Mord. Zwei Häftlinge, zur Tatzeit 15 und 24 Jahre alt, sollen einen Mitgefangenen über Wochen hinweg gedemütigt und gequält haben. Durch massive Drohungen sollen sie versucht haben, den 18-jährigen Thomas P. in den Suizid zu treiben. Als der Plan scheiterte, versuchten die beiden Deutschen, den Häftling zu erdrosseln. Die Gewaltorgie liegt mehr als ein Jahr zurück, doch bis heute haben die sächsischen Behörden inklusive Justizminister Geert Mackenroth (CDU) zu dem Verbrechen geschwiegen. Für die Staatsanwaltschaft Leipzig ist die Tragweite des Falles klar: Am 18. Mai erhob sie Anklage gegen die mutmaßlichenTäter – wegen versuchten Mordes.

 

Das Drama in der Anstalt, in der gut 200 Beamte und 130 Videokameras über die Insassen wachen, begann am Nachmittag des 2. Mai 2008. Der Angeklagte F. hatte in einer Kaffeemaschine Wasser erhitzt. Anschließend ging er in den Duschraum und kippte das kochende Wasser über den Rücken von Thomas P., der schwere Verbrennungen erlitt. In der Folge sollen der Jugendliche F. und sein volljähriger Kumpel B. ihr Opfer vielfach erniedrigt und missbraucht haben. Die Ermittlungsakten führen Gräueltaten physischer und psychischer Art detailliert auf. Einmal sollen die Angeklagten den 18-Jährigen an einen Stuhl gefesselt und ihm ein Handtuch über den Kopf geworfen haben. Anschließend bemalten sie seinen Körper mit einem Hakenkreuz und SS-Runen. Mehrfach sollen sie ihm einen Besenstiel in die Kniekehlen geschlagen haben. Irgendwann sahen die Angeklagten in Thomas P. scheinbar nur noch ein lebensunwertes Subjekt. Am 24. Mai 2008 sollen sie ihm erzählt haben, dass russische Häftlinge ihn auf grausame Art töten wollten. Ein Kopfgeld in Form von Drogen und Tabak sei ausgesetzt. Bevor die Russen ihn ermorden, solle er sich selbst umbringen, bedeuteten ihm die beiden angeblich. Thomas P. nahm die Drohung ernst. Mit einem an der Heizung befestigten Ledergürtel versuchte er, sich zu strangulieren, überlebte jedoch.

 

Daraufhin sollen die Angeklagten den Plan gefasst haben, Thomas P. eigenhändig zu töten. Angeblich warfen sie den Gürtel um P.s Hals und zogen zu. F. soll ihm zudem ein Messer in den Oberkörper gedrückt haben. Trotz Atemnot gelang es dem Opfer, sich zu befreien. Als die mutmaßlichen Täter seine Zelle verließen, um Verstärkung zu holen, alarmierte Thomas P. einen Aufseher. Die Anwältin des Opfers, Angela Schröder-Scherrle, wollte sich gegenüber FOCUS nicht zu dem Fall äußern. Auch der Verteidiger des heute 16-jährigen Angeklagten F., Stephan Bonell, gab keinen Kommentar ab. Er verwies lediglich auf eine Strafanzeige, die er gegen den Leiter und Bedienstete der Anstalt stellen will – wegen „menschenunwürdiger Behandlung“ seines Mandanten.

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