Alarm im Rotlicht: Steuerfahnder jagen verstärkt Hobby-Huren. Ihr größter Fall: ein Paar, das bei Privatpartys eine Million Euro kassiert haben soll
Sie versprachen einen Abend ohne Tabus. Auf ihrer Internet-Seite luden „Nina & Mike“ zahlungskräftige Männer zu einer „Herrenüberschuss Deluxe Party“. Ort: eine Hotelsuite in Frankfurt am Main. Angebot: „Lust, Spaß und hemmungsloser Sex“, bis „nix mehr steht“. Kosten pro Teilnehmer: 180 Euro. Die erotische Sause, zu der vier bis sechs Herren erwartet wurden, sollte am 11. Dezember 2013 um 19.30 Uhr beginnen und vier Stunden dauern. „Nina“, eine schlanke Frau mit strohblondem Haar, räkelte sich bereits halb nackt im Bett, ihr Ehemann hatte sich bis auf die Unterhose entblößt. Da klopfte es an der Tür.
Die Männer, die das Zimmer betraten, zeigten kein Interesse an frivolen Spielen. Es waren Mitarbeiter des Frankfurter Ordnungsamts und Polizisten vom Kommissariat 62, zuständig für Milieu-Kriminalität. Die Beamten hatten von der Sexparty erfahren und wegen „verbotener Ausübung der Prostitution“ ermittelt. Eine Ordnungswidrigkeit. Keine große Sache. Eigentlich. Der vermeintliche Bagatellfall weitete sich zum riesigen Steuerverfahren aus: Nach FOCUS- Informationen leitete die Frankfurter Polizei unter dem Aktenzeichen ST/1413476/13 Ermittlungen gegen Michael B., 51, und seine Frau Gunhild, 49, ein. Verdacht: Sozialhilfebetrug und Steuerhinterziehung. Den Fahndern zufolge kassierten die Eheleute aus Brandenburg seit neun Jahren Hartz IV, insgesamt 70 000 Euro. Im gleichen Zeitraum boten sie „hochpreisige Sex-Dienstleistungen“ an, heißt es in den Akten. Die Einnahmen – schätzungsweise eine Million Euro – sollen sie weder dem zuständigen Finanzamt Luckenwalde noch dem Jobcenter Teltow-Fläming gemeldet haben. Bestätigen sich die Vorwürfe, drohen dem sündigen Duo hohe Geld- oder sogar Haftstrafen.
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf einen von den Finanzbehörden lange vernachlässigten Bereich der Rotlichtszene: das Amateursex-Gewerbe. Neben Profi-Prostituierten, die in Bordellen anschaffen, arbeiten deutschlandweit Tausende sogenannte Hobby-Huren. Vorwiegend im Internet bieten „scharfe Hausfrauen“ und „sexy Studentinnen“ ihre Dienste an, ganz privat bei sich zu Hause, im Hotel oder in Swingerclubs.
Angeblich tun sie das aus reinem Vergnügen und erbitten in ihren Annoncen lediglich ein „kleines Taschengeld“. In Wahrheit streichen sie üppige Honorare ein. Schnell kommen da Summen oberhalb der steuerlichen Freibeträge zusammen. Stefan Löwer vom hessischen Finanzministerium weiß, dass Steuermauscheleien längst „zum Alltag vieler Bürger“ gehören. Das gelte auch für „Studentinnen, die erotische Dienstleistungen anbieten, ohne ihre Honorare den Finanzbehörden zu melden“. Während der Staat professionelle Liebesdamen eifrig besteuert (Kasten rechts), geht er bei Freizeit-Kurtisanen meist leer aus. Kein Wunder: Nur selten erfahren Finanzämter von amourösen Nebentätigkeiten. Ziehen sie doch mal eine Hausfrau aus dem Verkehr, lassen sich deren Einkünfte schwerlich nachweisen. Die Kunden zahlen bar, es gibt keine Buchführung, nichts. Experten schätzen, dass dem Fiskus dadurch jedes Jahr Millionenbeträge entgehen. „Die Problematik ist der Steuerverwaltung und auch der Steuerfahndung bekannt“, sagt Vera Jackowski vom Bayerischen Landesamt für Steuern. Das Thema „war und ist Gegenstand von Ermittlungen“. Auch in anderen Bundesländern haben Finanzbeamte erkannt, wie interessant der private Sexmarkt für sie sein kann, natürlich rein dienstlich.
In vielen Steuerfahndungsabteilungen sitzen Prüfer, die sich ausschließlich mit dem Bereich der erotischen Dienstleistungen befassen. Die Kontrolleure gehen anonymen Hinweisen nach, studieren Kontaktinserate in Zeitungen und surfen auf einschlägigen Internet-Seiten. Mitunter suchen als Freier getarnte Fiskalbeamte „Gelegenheits-Prostituierte“ (Behördenjargon) auf, um sich ein persönliches Bild von den Arbeitsumfängen der Verdächtigen zu machen. Am Ende präsentieren sie den verdutzten Liebesdamen die Steuerrechnung und leiten ein Strafverfahren ein. „Die Frauen können zwar Betriebsausgaben geltend machen, etwa Kosten für Handschellen, Lackstiefel und Kondome“, sagt ein Experte. „Der zu versteuernde Gewinn verringert sich dadurch aber nur minimal.“
Die Rotlichtkarriere von Gunhild und Michael B. alias „Nina & Mike“ lässt sich ziemlich gut rekonstruieren. Sachdienliche Informationen entdeckten die Ermittler auf zwei beschlagnahmten Computern des Paares. Die Auswertung ergab: Das Hartz-IV-Duo ist seit Ewigkeiten im Pornogeschäft aktiv. Bereits 2001 wurde das Gespann in Kontaktblättern wie “(S)EX-DDR“ und „Autofahrer-Weekend“ als Geheimtipp gefeiert. Schon damals bot das umtriebige Paar in einem Berliner Appartement Verkehr in allen Variationen an – vom gepflegten Trio-Sex über bizarre Rollenspiele bis zur Massenorgie. Später weiteten die Eheleute ihr Geschäftsgebiet aus und gingen mehrmals im Jahr auf Tournee durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Die Termine kündigten sie auf ihrer Internetseite an. Freier, die bei einer Party im Hotel mitmischen wollten, mussten verbindlich zusagen und eine Anzahlung leisten. „Auf diese Art“, so ein Ermittler, „organisierten die beiden im Lauf der Zeit Hunderte Sextreffen.“ Einträge im Online-Gästebuch („Top-Frau!“, „megageile Party“) legen nahe, dass Gunhild B. und ihr Gatte viele zufriedene Kunden hatten. Mit Telefonsex (1,99 Euro pro Minute), einer Erotik-Webcam und dem Verkauf selbst gedrehter Hardcore-Filme sicherten sich die Arbeitslosen weitere Einnahmen. Alles in allem, schätzen Ermittler, dürften die Sex-Unternehmer pro Monat 10 000 Euro verdient haben. Wie begehrt „Nina“ in der Freierszene war, zeigen mehrere Auszeichnungen auf einem Testportal im Internet.
Der Polizeibesuch vor wenigen Wochen kam für die freischaffenden Gunstgewerbler überraschend. „Die haben unsere Personalien aufgenommen, dann mussten wir raus aus dem Hotel“, berichtet Michael B. gegenüber FOCUS. Zur Sache will sich der 51-Jährige erst äußern, sobald er die konkreten Vorwürfe kenne. „Bis jetzt liegt uns nichts Schriftliches vor. Wir warten ab.“ Juristische Konsequenzen scheinen die mutmaßlichen Betrüger nicht zu fürchten. Nach ihrem Durchhänger in Frankfurt fuhren sie zu einer Sexfete ins österreichische Linz. Auch vergangene Woche ließen es „Nina & Mike“ wieder heftig krachen: In Berlin schmissen sie zwei Partys der Kategorie „Herrenüberschuss Deluxe“.