Geisterbeschwörer und Wahrsager biedern sich der Polizei immer wieder als hellsichtige Fahnder an. Die Ermittler sind genervt – und hilflos
Der Verbrecher agierte gnadenlos. Er überfiel eine Bank in Bocholt und nahm auf der Flucht mehrere Geiseln. Einem Autofahrer, der nicht anhalten wollte, schoss er in den Kopf. Während die Polizei noch rätselte, wer der Killer sein könnte, spuckte das Faxgerät auf dem Revier schon eine genaue Beschreibung des Täters aus: 25 Jahre alt, 1,78 Meter groß, schlank, braune Augen („mit goldgelben Reflexionen“). Der Mörder trage „Seidenhemden und auffällig teure Schuhe“. Er sei drogenabhängig und homosexuell („bzw. bisexuell“). Sein Vorname beginne mit J wie Johann. In einem zweiten Schreiben erfuhren die Ermittler der Kripo Duisburg sogar, wo der Gangster zu finden sei: im niederländischen Hengelo, in einem „Bauernhaus, umrandet mit Bäumen“. Auf einer mitgefaxten Landkarte war der Unterschlupf rot eingekreist.
Die Tipps erwiesen sich als Käse, was nicht verwundert, wenn man bedenkt, von wem sie stammten: einem Rentner, der sich im Besitz übernatürlicher Kräfte wähnt, sowie zwei Damen, die als „Medien“ durch die Welt geistern. Kriminalhauptkommissar Stefan Hausch, der in dem Fall ermittelte: „Die Angaben hatten mit der Realität nichts zu tun – wie fast immer bei Wahrsagern.“ Glaskugelseher, Pendelschwinger, Kartenleger, Wünschelrutengänger – wenn es darum geht, heikle Kriminalfälle zu lösen, sind die Vertreter der spirituellen Fraktion stets zur Stelle. Immer wieder dienen sie sich Strafverfolgern an und behaupten zu wissen, wo das entführte Kind steckt, wer der Mörder ist, wo die Leiche liegt.
Natürlich haben die hellsichtigen Experten das Ganze nicht irgendwo aufgeschnappt. Es bedarf schon einer intensiven Befragung der Gestirne, zumindest aber guter Kontakte ins Reich der Geister. Die meisten Hobby-Profiler mit Hang zum Jenseitigen wollen Gutes tun, richten jedoch nichts als Schaden an. Bei Angehörigen von Opfern wecken sie falsche Hoffnungen, Fahndern rauben sie Zeit und Nerven. „Was die teilweise vom Stapel lassen, ist eine Zumutung“, ächzt ein Fahnder, „totaler Irrsinn.“
Vor wenigen Wochen geriet die Hamburger Polizei in die Schlagzeilen. Um den Mörder eines 2001 erschossenen Gemüsehändlers ausfindig zu machen, ließen sich die Beamten mit einem iranischen „Metaphysiker“ ein. Der Kerl behauptete, er habe Verbindung zu dem Opfer aufgenommen und herausgefunden, dass der Täter „einen dunklen Teint, braune Augen und schwarze Haare“ hatte. „Es könnte sich um einen Türken handeln“, orakelte der Mann. Heute weiß man, dass die rechtsradikale Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) hinter dem Mordanschlag steckt. Der „Metaphysiker“ war eine Schwafelbacke.
Die Zusammenarbeit mit übersinnlichen Wesen hat in der deutschen Polizeigeschichte Tradition. Schon 1922, nach einem mysteriösen Großverbrechen in Bayern, wandten sich die Fahnder Hilfe suchend an zwei Wahrsagerinnen. Hochkonzentriert saßen die Frauen über den Totenschädeln jener sechs Opfer, die auf dem Einödhof von Hinterkaifeck ermordet worden waren. Eindrucksvolles Fazit der Knochendeuterinnen: Der Täter habe „etwas Scheues an sich“ und eine „Furche im Gesicht“, dazu „im Blick etwas Stechendes“. Er sei „noch jünger“ und verfüge über ein „hässliches Lachen“. Trotz der recht präzisen Hinweise wurde der Mörder von Hinterkaifeck bis heute nicht gefunden.
Bei der Sonderkommission, die ab 2007 den Sechsfachmord von Duisburg aufklärte, meldete sich ein Herr aus Norddeutschland. Er brüstete sich, im Besitz einer Top-Information über den flüchtigen Täter Giovanni Strangio zu sein: Mit Hilfe von Google Earth habe er „den Mafioso geortet“, teilte er stolz mit. In der Folge müllte der Mann die Kripo mit Telefaxen zu, in denen er sein exklusives Wissen – die jeweiligen Koordinaten Strangios – preisgab („Kohledampfer auf dem Rhein, stromabwärts“). Irgendwann hatten die Ermittler den Hokuspokus satt und baten den Amateurspion, seine Weisheiten für sich zu behalten.
An Geltungsdrang mangelt es Kriminal-Telepathen ebenso wenig wie an Selbstbewusstsein. Nachdem Sven Kittelmann im Januar 2007 mit dem Inhalt seines Geldtransporters, immerhin 3,6 Millionen Euro, durchgebrannt war, sprang ein Hellseher den bayerischen Ermittlern zur Seite. Aus sicherer Quelle wisse er, wo der Dieb abgeblieben sei: in Skandinavien. Die Quelle war dann doch nicht so gut: Kittelmann versteckte sich so ziemlich überall – außer in Skandinavien.
Ähnliche „Erfolge“ feierten Wahrsager bei der Suche nach den Mördern von Tristan Brübach aus Frankfurt am Main, der kleinen Michelle aus Leipzig sowie der Polizistin MichËle Kiesewetter aus Heilbronn. Im Fall der entführten Stephanie aus Dresden durfte sich die Prophetengemeinde zumindest rühmen, genauso viel zu wissen wie die Polizei: nichts. Klarheit schuf erst das Opfer. Während eines Spaziergangs mit ihrem Peiniger ließ sie heimlich Zettel fallen und machte so auf ihr Martyrium aufmerksam. Dass der Täter ein vorbestrafter Vergewaltiger war, der nahe Stephanies Schule wohnte, überraschte sowohl Polizisten als auch Hellseher. Damit konnte nun wirklich niemand rechnen.
Im September 2010 entführte ein Sextäter den zehn Jahre alten Mirco S. aus Grefrath in Nordrhein-Westfalen und ermordete ihn. An der Suche nach dem vermissten Jungen beteiligten sich 1000 Polizisten – und ein Schamane aus Peru. Der Herr erklärte den Fahndern in einer E-Mail, Mirco sei von „Leuten entführt worden, die mit menschlichen Organen handeln“. Er werde „in einer Hütte im Wald“ festgehalten. Bei der Beschäftigung mit dem Fall, so der Schamane, habe es „nach Kanalisation, Sumpfgebiet oder abgestandenem Wasser“ gerochen. Der Junge sei „noch am Leben“.
200 solcher Nonsens-Hinweise erreichten die Soko „Mirco“ in Mönchengladbach. „Menschen aus allen Spezialgebieten des Übersinnlichen“ hätten Proben ihres zweifelhaften Könnens abgegeben, weiß der damalige Soko-Sprecher Willy Theveßen. Viele von ihnen fühlten sich von der Polizei nicht ernst genommen. „Die beklagten sich bitterlich, dass ihre Fachkompetenz nicht gebührend gewürdigt wurde“, so Theveßen.
Schräge Hinweise von vornherein als Mumpitz abzutun, können sich die Kriminaler kaum leisten. „Stellen Sie sich vor, es kommt raus, dass einer der Hinweisgeber zufällig Recht hatte“, sagt ein Beamter. Diese Gefahr bestand zumindest bei einem passionierten Freizeitdetektiv aus Bad Salzuflen nicht. Der Mann stöberte Verbrecher mit einem Messingklumpen auf, der am Faden baumelte. Das Pendel hielt er über eine Landkarte und, schwuppdiwupp, war der Bösewicht geortet. Im Fall eines Bankräubers schlug das Pendel über halb Europa aus. Nach jeder Zuckung informierte der Meister die Polizei. Irgendwann hörte er, dass „alles angekommen“ sei. Dann ertönte das Besetzt-Zeichen.