Göran Schattauer | »Ich schlafe jetzt ruhiger«
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Jahrelang lebte sie an der Seite zweier rechtsradikaler Killer. Nun haben die Ermittler die unheimliche Biografie der mutmaßlichen Terroristin Beate Zschäpe rekonstruiert

 

Nach ihrer Festnahme unterschrieb sie das Vernehmungsprotokoll in Druckbuchstaben: BEATE ZSCHÄPE. Es sei „seit langer Zeit das erste Mal“, dass sie ihren korrekten Namen benutze, erklärte die 37-Jährige den Polizeibeamten. Auf ihren Rufnamen würde sie schon ewig „nicht mehr reagieren“. Mehr als 13 Jahre lang lebte sie an der Seite zweier Serienmörder im Untergrund. Dabei benutzte sie mindestens neun Deck- und Aliasnamen. Sie nannte sich „Susann Dienelt“, „Lisa Dienelt“, „Lisa Pohl“, „Liese Pohl“, „Sylvia Pohl“, „Mandy Struck“, „Silvia Rossberg“ und „Susann Eminger“. Auch ein Personalausweis, ausgestellt auf Bärbel B. aus Braunschweig, befand sich in ihrem Besitz.

 

Unter dem einen Namen beantragte sie ihre Bahncard, unter dem zweiten die Ausweise für ihre Katzen, unter dem dritten den Brillenpass, unter dem vierten die Servicekarte ihres Fahrradhändlers. Unter dem fünften überwies sie die monatliche Miete von 740 Euro.

 

Es muss anstrengend sein, bei jeder Gelegenheit eine andere Rolle zu spielen. Es braucht einige Konzentration und ziemliche Disziplin: bloß nicht den Überblick verlieren, nur kein Wort, das einen enttarnen könnte. Einer solchen Tortur setzen sich nur Menschen aus, die sich aus irgendwelchen Gründen in eine für sie gefährliche Lage manövriert haben. Beate Zschäpe, die Frau mit den vielen Gesichtern, hatte genau dies getan. Sie baute Bomben und hortete Sprengstoff. Gejagt von Zielfahndern der Polizei und Verfassungsschützern, flüchtete die Rechtsextremistin 1998 aus Jena und tauchte zusammen mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ab. Zschäpe, die zu ihrer Mutter nie das beste Verhältnis hatte, betrachtete die beiden Männer als ihre neue „Familie“. Ein seltsames Bild, wenn man bedenkt, wie die Bundesanwaltschaft das Trio nennt: „eine terroristische Vereinigung“.

 

Die Karlsruher Anklagebehörde ist überzeugt, dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe die Killer-Organisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bildeten. Die rechtsradikale Zelle soll zwischen 2000 und 2007 neun Einwanderer aus der Türkei und Griechenland sowie eine deutsche Polizistin ermordet haben. Außerdem werden ihr zwei Sprengstoffanschläge und etliche Banküberfälle zur Last gelegt.

 

Dass die größte Verbrechensserie seit den Anschlägen der Roten Armee Fraktion (RAF) auf das Konto des NSU geht, halten die Ermittler für erwiesen. Als sicher gilt auch, dass Mundlos und Böhnhardt den Kern der Bande bildeten.

 

Welche Rolle aber spielte Beate Zschäpe, die einzige Überlebende der schrecklichen „Familie“? War sie Mittäterin, Mitwisserin oder doch nur eine unbedeutende Mitläuferin? Wie verlief ihre Kindheit? Wie verbrachte sie ihre Jugend? Wie schaffte sie es, mit zwei Männern zusammenzuleben, denen es nur darum ging, Unschuldige und Wehrlose zu ermorden?

 

Auf all diese Fragen gab es bislang nur bruchstückhafte Antworten. Zschäpe sitzt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln, Gefangenennummer 4876/11/3, und schweigt. Zumindest offiziell. In Wahrheit hat die Beschuldigte mehrfach mit Polizisten gesprochen. Dabei gewährte sie tiefe Einblicke in ihre Seele und die Struktur der Zwickauer Zelle. Die entsprechenden Protokolle finden sich in den als „vertraulich“ eingestuften Ermittlungsakten. Neben den Äußerungen von Beate Zschäpe enthält das mehrere tausend Seiten starke Dossier aufschlussreiche Einschätzungen ihrer Mutter sowie bislang unbekannte Beobachtungen des Verfassungsschutzes.

 

Mit Hilfe der Dokumente und dem Wissen der Fahnder lässt sich die unheimliche Biografie der Beate Zschäpe erstmals rekonstruieren.

 

Sie kam am 2. Januar 1975 als Beate Apel zur Welt. Apel, so hieß ihre Mutter. Ihren rumänischen Vater hat sie nie gesehen. Im Lauf der nächsten Jahre heiratete die Mutter zweimal, die Tochter nahm jeweils den Namen des neuen Partners an. Erst hieß sie Trepte, ab 1982 Zschäpe. Ihre Kindheits- und Jugendjahre in Jena verliefen nicht gerade harmonisch. Innerhalb kurzer Zeit zog die Familie viermal um, die Tochter vermisste Geborgenheit und Wärme. Die wichtigste Bezugsperson war ihre Großmutter. Beate Zschäpe fühlte sich als typisches „Omakind“. Höchstwahrscheinlich hat Zschäpe, wie in der DDR üblich, Kinderkrippe und Kindergarten besucht. Belege existieren nicht mehr. Unklar bleibt auch, wo sie als Sechsjährige eingeschult wurde. Ab der vierten Klasse lernte sie in der Goetheschule in Jena-Winzerla. 1991 schloss sie die 10. Klasse mit dem Prädikat „gut“ ab.

 

Was Zschäpe unmittelbar danach machte, konnten die Fahnder bislang nicht herausfinden. Laut ihrer Mutter wollte sie eine Lehre als Kindergärtnerin beginnen, doch das habe nicht geklappt. Im Juni 1992 vermittelte ihr die Stadtverwaltung Jena eine Arbeitsbeschaffungs-Maßnahme (ABM) als Malergehilfin, 1480 D-Mark brutto. Der Job sagte ihr nicht zu. Mehrmals fehlte sie unentschuldigt, schließlich schmiss sie hin. Obwohl es nicht ihr Traumberuf war, begann Zschäpe im Herbst 1992 eine dreijährige Ausbildung zur Gärtnerin, Fachrichtung Gemüsebau. Die Lehre beendete sie mit der Note „befriedigend“. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit erhielt sie im September 1996 erneut eine ABM-Stelle, wieder als Malergehilfin, in der städtischen Jugendwerkstatt. Dem damaligen Leiter blieb sie als „intelligent und engagiert“ in Erinnerung. Im August 1997 lief die Maßnahme aus. Zschäpe meldete sich wochenlang krank und dann arbeitslos.

 

Zu dieser Zeit verkehrte sie längst mit zwei stadtbekannten Neonazi-Größen: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. In Mundlos, den Professorensohn, verliebte sie sich. Zschäpes Mutter schwärmt noch heute von dem „kommunikativen, sehr freundlichen und zuvorkommenden“ Mann. Böhnhardt, mit dem ihre Tochter später liiert war, sei ihr „nicht so sympathisch“ gewesen. Irgendwann sei ihre Tochter – wahrscheinlich unter dem Einfluss der beiden Freunde – „in das rechte Milieu abgeglitten“. Dies blieb auch dem Thüringer Verfassungsschutz nicht verborgen. In den Akten spielt Zschäpe erstmals im August 1995 eine Rolle: Zusammen mit Mundlos besuchte sie ein Treffen der Anti-Antifa Ostthüringen. Danach kreuzte die junge Frau immer wieder bei rechtsradikalen Treffen und Konzerten auf. Im September 1995 bewarfen Zschäpe und Böhnhardt das Mahnmal der Opfer des Faschismus in Rudolstadt mit Eiern. Zwei Monate später wurden Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt festgenommen. In Böhnhardts Auto fand die Polizei Faustkampfmesser, Sturmhauben, Schlagstöcke und Propagandamaterial.

 

1996 und 1997 machten Jenaer Neonazis mit Sprengstoff- und Briefbombenattrappen auf sich aufmerksam. Das militante Trio zählte schnell zu den Verdächtigen und blieb unter Beobachtung. Anfang 1998 entdeckte die Polizei in einer von Zschäpe angemieteten Garage vier funktionsfähige Rohrbomben und 1,4 Kilogramm Sprengstoff. Zudem stellten Ermittler eine Diskette sicher, deren Text sich liest wie eine Ankündigung der späteren Verbrechen. Wörtlich heißt es: „ALIDRECKSAU WIR HASSEN DICH“. Einem „Türkenschwein“ müsse man das „Gesicht zertreten“. Die Gewaltdrohung, der Sprengstoff, das gespenstische Weltbild des Trios – den Sicherheitsbehörden hätte durchaus auffallen können, dass man es nicht mit irgendwelchen Maulhelden zu tun hatte.

 

Spätestens nach dem ersten Mord an einem türkischen Einwanderer im Herbst 2000 lag nahe, die Bande aus Jena in den Kreis der potenziellen Täter aufzunehmen. Zumal der Verfassungsschutz laut Aktenlage wusste, dass sich Zschäpe und Konsorten mit Waffen eingedeckt hatten. Doch selbst nach dem neunten Mord 2006 hatte niemand die radikalen Thüringer auf der Rechnung.

 

Nach der Flucht aus Jena gaben sich Zschäpe & Co. größte Mühe, für die Strafverfolger unsichtbar zu bleiben. Zwischen 1998 und 2011 lebten sie in mindestens fünf konspirativen Wohnungen in Chemnitz und Zwickau. Sie zogen Schallschutzdecken ein, ließen spezielle Türen einbauen und klemmten Minikameras in die Blumenkästen, um unliebsame Besucher rechtzeitig zu erkennen.Von Szene-Freunden erhielten sie Mobiltelefone, Ausweise und Geld. Die Miete beglichen sie per Bareinzahlung, zum Arzt gingen sie nur, wenn es unbedingt sein musste – selbstverständlich mit falschen Papieren. Am 2. Mai 2006 ließ sich Beate Zschäpe bei einer Zahnärztin in Halle (Saale) behandeln. Am Schalter zeigte sie eine auf „Silvia Rossberg“ ausgestellte AOK-Karte vor.

 

So beschwerlich und risikoreich diese Art zu leben war, mit der Zeit gewöhnte sich Zschäpe daran. Sie ging zum Friseur und kaufte in Klamottenläden ein, etwa in den Zwickau Arcaden. In einer Videothek war sie ab 2007 Stammkunde (sie lieh 280 Filme und sechs Computerspiele aus), den Nachbarn spendierte sie Familienpizza und Schaumwein, ihre Katzen brachte sie regelmäßig zur Tierärztin.

 

Vermutlich wäre alles so weitergelaufen, so unnormal normal, wäre nicht ein aufmerksamer Zeuge zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Er beobachtete am 4. November 2011 in Eisenach zwei Männer, die ihre Fahrräder in ein Wohnmobil schmissen und davonrasten. Es waren Mundlos und Böhnhardt, die bei einem Bankraub gerade 75 000 Euro erbeutet hatten. Polizisten konnten den Caravan kurz darauf ausfindig machen, die beiden Insassen brachten sich um. Für die Dritte im Bunde ging es nunmehr um alles oder nichts.

 

Um Beweise zu vernichten, schüttete Beate Zschäpe in der Zwickauer Wohnung des Trios Benzin aus. Sie legte Feuer, dann rannte sie aus dem Haus. In den nächsten fünf Tagen fuhr die meistgesuchte Frau Deutschlands mit der Bahn kreuz und quer durch die Republik. Vermutlich wollte sie Zeit gewinnen, um eine Entscheidung über ihre Zukunft zu treffen. Sie hatte drei Möglichkeiten: im Untergrund bleiben, sich das Leben nehmen – oder aufgeben.

 

Nachdem sie 1996 erstmals in Polizeigewahrsam gekommen war, sagte Beate Zschäpe zu ihrer Mutter, sie werde sich „nie wieder“ festnehmen lassen. Jetzt hatte sie nur noch einen Wunsch: dass alles vorbei sein möge, endlich. Sie war müde und schmutzig, ihre Kleider stanken. Die Zigaretten der Marke Power Gold waren fast aufgebraucht. Sie wusste, dass die Zeit der Flucht abgelaufen war und eine neue beginnen würde – im Gefängnis. Zuvor wollte sie noch einmal ihre Familie sehen. Am Morgen des 8. November streifte Zschäpe, braune Jacke, schwarze Hose, rote Freizeitschuhe, durch den Jenaer Stadtteil Löbstedt. Hier teilen sich ihre Mutter und ihre geliebte Großmutter eine Wohnung in der ersten Etage eines Plattenbaus. Doch Zschäpe kam nicht durch. Überall standen Polizisten. Bis auf 200 Meter konnte sie sich dem Haus nähern, dann war Schluss.

 

Vor einem Supermarkt sprach Zschäpe eine Frau an und bat um deren Mobiltelefon. Um 8.49 Uhr wählte sie die 110. „Guten Tag, hier ist Beate Zschäpe“, sprach sie in den Hörer. In den folgenden zwei Minuten versuchte die zur Fahndung ausgeschriebene Frau, sich zu stellen – doch der Beamte der Polizeiinspektion Jena erkannte sie nicht. Vergebens bedeutete Zschäpe, dass sie jene Person sei, nach der „schon seit Tagen“ gesucht werde. Der irritierte Polizist fragte die Anruferin, „von welcher Behörde“ sie sei. Zschäpe reagierte gereizt: „Wollen sie mich veräppeln?“ Die ganze Stadt werde abgesperrt, überall stünden Polizeiautos. Nachdem der Beamte erklärte, dass er von Absperrungen nichts wisse, legte Zschäpe auf.

 

Sie gab das Handy zurück und fuhr mit der Straßenbahn stadteinwärts. In der Nähe der Polizeiinspektion stieg sie aus. Zschäpe irrte durch die Straßen und suchte nach einem Rechtsanwalt. Schließlich klingelte sie bei der erstbesten Kanzlei, zahlte mehrere hundert Euro Vorschuss und bat den Juristen, sie zur Polizei zu begleiten. Sie wolle sich „wegen einer Brandstiftung“ stellen. Auf der Wache musste Zschäpe sich entkleiden. Die Sachen wurden luftdicht in Tüten verpackt, um später mögliche Rückstände von Brandbeschleunigern finden zu können. Den Inhalt ihrer Handtasche kippten Beamte auf einen Tisch: vier Feuerzeuge, Pfefferspray, drei Packungen verschreibungspflichtige Schmerzmittel, Taschentücher, Kaugummis, ein Deospray, eine Geldbörse mit 12,23 Euro in Münzen, eine Fossil-Armbanduhr, eine Strumpfhose. Noch am selben Tag brachten Polizisten Zschäpe nach Zwickau, später kam sie ins Frauengefängnis Chemnitz-Reichenhain. Am 13. November wurde die 37-Jährige zum Bundesgerichtshof (BGH) nach Karlsruhe geflogen.

 

Bevor der Richter den Haftbefehl verlas und die Kronzeugenregelung erklärte, unterhielt sich Zschäpe mit zwei Polizisten. Sie zeigte sich erleichtert, dass nun alles vorbei war. Ihr sei immer klar gewesen, dass sie und ihre Freunde irgendwann „auffallen“ würden – trotz aller Vorsichtsmaßnahmen. Einmal hätten sie sich einen Hund anschaffen wollen, erzählte Zschäpe. Dafür hätten sie jedoch bei der Stadtverwaltung eine Steuermarke beantragen müssen. Das sei ihnen zu riskant gewesen. Einen Hund ohne offizielle Marke zu halten, sei nicht in Frage gekommen. „Wir wollten nicht durch ein Steuervergehen auffallen“, so Zschäpe. Das Leben im Untergrund hat der Radikalen zugesetzt. Es sei ihr unmöglich gewesen, „echte Freundschaften“ zu schließen, klagte Zschäpe. Die Sehnsucht nach ihrer Mutter und der Großmutter sei groß gewesen. Über all die Jahre habe sie immer wieder die Auskunft angerufen, um zu erfahren, wo die beiden wohnen. Jetzt, da die Flucht beendet sei, könne sie wieder „ruhiger schlafen“.

 

Nach Verkündung des Haftbefehls erklärte Zschäpe dem BGH-Richter, dass sie mit ihrem Anwalt über die Vorwürfe sprechen müsse. Sie sei „ein Faktenmensch“ und brauche Informationen. Danach werde sie sich überlegen, ob sie aussage. In Karlsruhe bekam Zschäpe noch ein Abendessen, dann fuhren Polizisten sie nach Köln. Gegen 23.30 Uhr traf sie in der JVA Köln-Ossendorf ein.

 

Zwei Wochen nach ihrer Einlieferung sprach Zschäpe erneut mit einem Polizisten, diesmal durch eine Trennscheibe im Besucherraum. Über die Frage des Beamten, was mit den unversehrten Sachen aus dem Brandhaus in Zwickau werden solle, zeigte sie sich verwundert: Soweit sie wisse, dürfe man über Gegenstände, die „mit Geld aus Straftaten erworben wurden“, nicht verfügen. Zschäpes Reaktion werten die Fahnder als Beleg, dass die Frau tief in die Machenschaften des Terrortrios verstrickt ist. Bei ihren Raubzügen erbeutete die Bande knapp 600 000 Euro. Von dem Geld finanzierten sie immer neue Verbrechen, auch die Mordattentate. Dass die Beschuldigte an den Hinrichtungen beteiligt war, schließt die Polizei aus, zumindest vorerst. „Bislang gibt es keine Hinweise darauf, dass Zschäpe geschossen hat oder sich während der Anschläge an Tatorten aufhielt“, so ein Ermittler. Sicher sei man hingegen, dass die 37-Jährige „von den Bluttaten wusste und zusammen mit ihren Partnern eine Terrorvereinigung bildete“.

 

Die Bundesanwaltschaft stützt den dringenden Tatverdacht unter anderem auf den Umstand, dass Zschäpe mit Mundlos und Böhnhardt zusammenlebte und dabei ihre wahre Identität aufgab. Zudem habe sie Kopien einer DVD verschickt, auf der sich die NSU-Mörder ihrer Verbrechen rühmen. „Das war Zschäpe ganz wichtig“, glaubt ein Fahnder. „Sie wollte ein Fanal setzen, auch im Namen ihrer toten Freunde.“

 

Wolfgang Stahl hält die Argumente größtenteils für „nicht treffend“. Der 40 Jahre alte Rechtsanwalt aus Koblenz verteidigt Beate Zschäpe zusammen mit seinem Kollegen Wolfgang Heer aus Köln. Die beiden Juristen gelten als akribisch und, wenn es sein muss, unerbittlich. Gemeinsam haben sie etliche Fälle erfolgreich durchgefochten. Stahl, 1,89 Meter groß, schlank, klassische Hornbrille, ist verheiratet und hat einen Sohn. Seine Kanzlei genießt einen guten Ruf, Rechtsextremisten gehören eher nicht zur Kundschaft. All das musste bedacht werden, bevor er die heikle Aufgabe übernahm. Anfangs fürchtete er, dass man ihn, den Liberalen, der auch Mitglied im Kreisvorstand der FDP ist, als Gesinnungsverteidiger oder „Neonazi-Anwalt“ verunglimpfen könnte. Bestärkt fühlte er sich durch einen Freund. Er sagte: „Es ist dein Beruf. Du bist Strafverteidiger. Also mach es!“ Seit Wochen arbeitet sich Stahl durch Aktenkonvolute, verfasst lange Schriftsätze, führt Telefonate, besucht die Mandantin. Da er, anders als sein Mitstreiter, noch nicht zum Pflichtverteidiger bestellt wurde, erhält er für seine Arbeit vorerst kein Geld. Vermutlich kann er sich diesen Luxus nur leisten, weil er normalerweise gut zahlende Mandanten in Wirtschaftsstrafsachen vertritt.

 

„Für mich liegt der Reiz darin, eine Beschuldigte zu verteidigen, gegen die Hunderte Polizisten und mehrere Staatsanwälte ermitteln“, sagt Stahl. „Ich will die Interessen meiner Mandantin, die für viele schon jetzt als mordende Rechtsterroristin feststeht, mit aller Vehemenz verteidigen.“ Dabei vertraut der Anwalt weder der angeblich objektiven Anklagebehörde noch dem überparteilichen Gericht: „Nur ein Verteidiger hat den Antrieb, Dinge zu finden, die einen Beschuldigten entlasten.“

 

Die Fahnder sind indes bislang kaum auf Indizien gestoßen, die Zschäpes Lage verbessern könnten. Und solange die Beschuldigte selbst keine Klarheit schafft, müssen die Ermittler ihre Schlüsse aus dem ziehen, was sie in den Brandtrümmern entdeckt haben.

 

Eine Erkenntnis lautet: Die drei waren sich ihrer Sache sicher. So sicher, dass sie kurz vor dem letzten Banküberfall in Eisenach den nächsten Sommerurlaub buchten. Unter ihrem Aliasnamen „Susann Eminger“ orderte Zschäpe am 9. Oktober 2011 einen Campingwagen-Stellplatz auf der Insel Fehmarn. Die Stammgäste aus Sachsen, seit Jahren begeisterte Ostsee-Urlauber, kündigten sich für die Zeit vom 5. bis 29. Juli 2012 an.

 

Fehmarn blieb nicht das einzige Ziel der Radikalen. Zschäpe schaute sich im Internet auffallend oft Seiten über Disneyland Paris an. Im Schutt des Zwickauer Hauses lagen vier Seiten eines großen Reiseveranstalters – die Buchungsbestätigung für einen Disneyland-Trip. Ob Zschäpe und ihre Mörder-Freunde tatsächlich in Paris waren, wissen die Ermittler nicht. Noch nicht.

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