Der Prozess um einen angeblich an Hunde verfütterten Landwirt muss womöglich neu aufgerollt werden
Vor sechs Wochen fischten Polizisten ein Auto aus der Donau. Auf dem Fahrersitz des schwarzen Mercedes 230 E, Baujahr 1988, kauerte ein Mann. Sein Körper war weitgehend aufgelöst. Muscheln hatten sich in der Kleidung verbissen. In der Nasenhöhle krabbelte ein Flusskrebs. Mehrere Jahre muss der Tote auf dem Grund gelegen haben. Er trug D-Mark-Münzen bei sich. Seine Versicherungskarte war ausgestellt auf Rudolf Rupp, geboren 1949, Landwirt aus Neuburg an der Donau.
Der Bauer Rudolf Rupp galt seit Oktober 2001 als vermisst. Nach langwierigen Ermittlungen stand für die bayerische Justiz fest: Der 52-Jährige wurde Opfer eines grausigen Verbrechens – erschlagen, zersägt, an Tiere verfüttert.
Für die Tat verurteilte das Landgericht Ingolstadt 2005 vier Angeklagte zu Haftstrafen zwischen zweieinhalb und achteinhalb Jahren. Zwei von ihnen sitzen noch heute in Haft – ob zu Recht, ist keineswegs sicher. Denn ein bislang unbekanntes Gutachten, das FOCUS vorliegt, stellt den Kern des Urteils in Frage. Womöglich muss der Prozess neu aufgerollt werden.
Die Beweislage war von Anfang an dünn. Die Fahnder hatten weder die Leiche noch Spuren entdeckt. Kein Blut, keine DNA, nicht den kleinsten Knochen. Das Urteil basierte im Wesentlichen auf den – später widerrufenen – Geständnissen der intellektuell minderbemittelten Angeklagten. Insbesondere der zur Tatzeit 18-jährige Matthias E., ein arbeitsloser Alkoholiker, hatte den vermeintlichen Verlauf des Verbrechens überaus präzise geschildert.
So beschrieb E., wie er ein Kantholz ins Genick des Opfers geschmettert habe. Wie er die Spitze eines Hammers viermal in dessen Schläfe schlug. Wie er den Toten zerlegte und ausweidete. Wie er die Teile Hunden zum Fraß vorwarf.
All das nahmen die Richter für bare Münze. Es überstieg ihre Vorstellungskraft, dass jemand den Plot erfunden haben könnte – und sich damit selbst schwer belasten würde. An Widersprüchen und Ungereimtheiten in E.s Aussagen störte sich die Kammer nicht.
Spätestens seit Rupps Überreste aus der Donau gehievt wurden, ist klar: Weder die im Urteil behauptete Zerstückelung noch die Verfütterung hat je stattgefunden. Nach der Obduktion der Leiche in München geraten zwei weitere Feststellungen des Gerichts ins Wanken: der Hieb in den Nacken und die tödlichen Schläge auf den Kopf.
Laut dem vorläufigen Gutachten der Rechtsmediziner lässt sich „der Tod durch stumpfe Gewalt gegen den Schädel ausschließen“. Rupps Schädelknochen war demnach „völlig unverletzt“, ebenso die Halswirbelsäule. Am Rumpf „fanden sich weder Haut- noch Knochenverletzungen“, weshalb „eine Stich- oder Schussverletzung als Todesursache ausscheidet“. Woran Rupp starb, bleibt ungeklärt. „Eine anatomisch nachweisbare Todesursache konnte nicht mehr gefunden werden“, so die Leichenöffner.
Rechtsanwalt Klaus Wittmann wertet die Befunde als Beweis, dass am Urteil von 2005 „gar nichts stimmt“. Wittmann vertritt die bis heute inhaftierte Frau des Opfers, Hermine Rupp, 54. Er will eine Wiederaufnahme des Verfahrens erreichen. Die Staatsanwaltschaft sieht dafür keinen Anlass. Sie glaubt weiterhin, dass Rudolf Rupp erschlagen wurde – und zwar von den später Verurteilten. Dass Geständnisse nicht zwingend zu Bestrafungen führen müssen, zeigt der Mordfall Pascal. Mangels Beweisen sprach das Saarbrücker Landgericht 2007 alle zwölf Beschuldigten frei. Matthias E., der für die Tötung des Neuburger Bauern als Haupttäter verurteilt wurde, lässt die neue Lage kalt. Er hat fast zwei Drittel der Strafe verbüßt – und hofft auf baldige Entlassung.